Günter Grass ist ein liebenswerter Mann. Herr Pähler und ich haben ihn beim Kaffee letzte Woche noch als Elite Deutschen bezeichnet. Ich habe ihn aber heute Nachmittag nicht gefragt, ob er ein Elite Deutscher ist, sondern ob er sich als unbequem empfindet. Es ist schon aufregend ein Interview mit dem Schriftsteller zu führen. Er ist aber so ruhig und so unaufgeregt, dass selbst hektische Presse- und PR-Menschen für eine ungewöhnliche Sekunde inne halten. Was ich heute gelernt habe: In seinem Umfeld wird viel Du gesagt. Er schreibt grundsätzlich erst eine Handfassung, dann eine getippte Fassung auf einer mechanischen Schreibmaschine. Die hat auch einen Namen, den ich vergessen habe. Er schreibt an einem Stehpult und schaut auf eine weiße Wand. Ein Fenster würde ihn zu sehr ablenken. Günter Grass – der Unbequeme. Warum ich ihm dazu befragt habe, werde ich demnächst einmal in Ruhe berichten.
Leser-Interaktionen
Tipps
fiene & der irrtum mit der stadt bremerhaven und was das mit den goldenen bloggern des jahres zu tun hat
Im letzten Jahr war ich irgendwo in Deutschland bei irgendeinem Meeting bei irgendeinem internationalen Konzern der Technologiebranche. Der Manager erzählte von einer für den Konzern wichtigen Geschichte. Höhen und Tiefen und so. Auf einmal streute er in seine Erzählung ein: „Das ist so gut angekommen, da hat auf einmal die Stadt Bremerhaven drüber berichtet.“
Ich schaute ihn verdutzt an, ob er einen Scherz gemacht hat. Seiner Gestik nach zu urteilen nicht – er setzte seinen Vortrag unbeirrt fort. Schnell blickte ich zu der Social-Media-Crew des Konzerns. Dort nahm ich noch so gerade ein Augenrollen wahr.
Eine sympathische kleine Geschichte. Was Manager halt so mitbekommen. Es ist nicht so, dass die Stadt Bremerhaven in die Technologie-Berichterstattung eingestiegen ist. Das ist einfach die Internet-Adresse von Caschys Blog. Im Jahr 2015 bloggt Carsten Knobloch unter stadt-bremerhaven.de seit zehn Jahren. Durch seine Technikbloggerei ist er bekannt geworden und zugegeben: Als ich das erste Mal über die URL stolperte, war ich auch irritiert.
Caschy ist einer von diesen Bloggern, über die ja neuerdings wieder alle so gerne reden: Er ist leidenschaftlich dabei, hartnäckig, fleissig, formuliert sehr nah an seiner Zielgruppe, hat ein Netzwerk an Helfern und befreundeten Blogs um sich aufgebaut und macht dies jetzt sehr lange. Um ihn herum ist eine richtige Fangemeinschaft entstanden.
Keine Sorge, ich werde jetzt nicht zum Tech-Watch-Blog, aber warum ich das erzähle? Caschys Blog ist am häufigsten für die Blogger des Jahres vorgeschlagen worden. Bis Neujahr konntet ihr eure Vorschläge einreichen. Thomas Knüwer, Franziska Bluhm und ich sichten und bewerten gerade die Einsendungen und in wenigen Tagen gibt es dann die Nominierten, über die ihr dann am 12. Januar abstimmen könnt. Wir haben in diesem Jahr 18% mehr Vorschläge bekommen. Die Zahl der URLs liegt mittlerweile im vierstelligen Bereich. Das ist phantastisch. Auch wenn unsere kleine Preisverleihung (mittlerweile im siebten Jahr) immer etwas gaga ist, gibt es einen ernsten Hintergrund: Mir persönlich sind eure Vorschläge für meine Berichterstattung sehr hilfreich. Ich denke, Thomas und Franzi geht das ähnlich. Außerdem können wir wunderbar zeigen, wie vielfältig die Blogosphäre ist. Viele Blogs hat man gar nicht auf dem Schirm. Und wir können etwas dafür tun, um die eigene Filterblase zu erweitern.
Wenn Caschys Blog noch nicht zu eurer Filterblase gehört, solltet ihr das direkt ändern.
Tipp: Am 12. Januar verleihen wir im Internet und in Düsseldorf-Flingern die Goldenen Blogger des Jahres. Ihr könnt dabei sein.
fiene & die fehler der blogger
Turi2 feiert gerade, das Ende der Homepage entdeckt zu haben und teilt dabei gegen die Konkurrenz aus. Es gibt Repliken, aber viel wichtiger halte ich eine andere Debatte, die Heilig Abend durch Sascha Pallenberg angestoßen wurde.
Sascha Pallenberg erfindet sich gerade neu. Am Wochenende wird eine neue Version von MobileGeeks online gehen. Seit sieben Jahren bloggt er nun. Erst ging es um Eee-PCs, dann kümmert er sich um seine Netbook-News und aus dieser Seite sind dann die MobileGeeks geworden. Jetzt vollzieht er keinen thematischen Schwenk, sondern merkt: So weiter wie bisher kann er nicht machen, das funktioniert nicht.
Seine Selbst-Analyse ist spannend. Viele der Probleme beziehen sich nicht nur auf MobileGeeks, sondern gelten für weite Teile der Online-Medienlandschaft. In einem 26-Minütigen Weihnachts-Video legt Pallenberg seine Gedanken dar. Ich fasse euch die wichtigsten Punkte zusammen:
Was laut Pallenberg schief läuft:
- Es fehlt die Rückbesinnung auf die Art, wie er und sein Team mal begonnen haben: Es war ein Fehler sich voll und ganz auf News zu setzen. Pallenberg: „Das war naiv.“
- Mit Newsschwemme kann man nichts gewinnen oder sich differenzieren. „In dem Moment schreibt man nicht mehr für Menschen, sondern für Algorithmen. Das ist nicht das, was wir machen wollten.“
- Früher ging es darum, Artikel zu schreiben, die sonst niemand hatte. Heute muss man alle Geschichte nacherzählen. Möglichst viele News pro Tag.
- Wenn alle anfangen, von einander abzuschreiben, gerät man in eine Sackgasse – in einen Teufelskreis des Reproduzierens von Content, der ja eigentlich einmal von jemand anderes erstellt worden ist.
- Selbsteingeständnis: „Wir sind keine Newredaktion!“ („Ich kann nicht mehr. Mich kotzt der ganze Newskack an.“)
- Nachrichtenredaktionen haben viel aus der Bloggersphäre geklaut: Live-Ticker von Nerd-Messen oder Unboxing-Videos.
- Blogs haben sich ihren Vorsprung gegenüber den klassischen Redaktionen verspielt.
- Keine Sponsored-Posts mehr, keine Advertorials mehr.
Was sich ändert:
- Mehr Herz und Leidenschaft für die Themen, für die man brennt.
- Smartphone als Zentrum für verschiedene Themenfelder: SmartCars, SmartHome, SmartTraveller, SmartLearning …
- Pallenberg holt viele Experten an Board, die sich mit einem eigenen Themenschwerpunkt in einem Blog oder in sozialen Netzwerken bewiesen haben – sie werden auf MobileGeeks für ihre Themen schreiben.
- Mehr eigene Themen und keinen Content, „der schon alt ist, wenn man auf ‚veröffentlichen‘ drückt.“
- Weniger veröffentlichen – keine 20 News am Tag.
- Blogger sagen ganz klar ihre Meinung, egal wer sie finanziert – es gibt keine Durchschnittsprodukte: Entweder sind sie top, oder flop. „Subjektivität und Direktheit müssen wir uns beibehalten.“
- Keine Bannerwerbung mehr. Dafür Werbetexte mit Mehrwert, die eindeutig gekennzeichnet sind.
Ich kann mir vorstellen, dass Sascha wieder in heftige Diskussionen in diesem Jahr geraten wird. Im Video kritisiert er Angebote wie curved.de – eine Tech-Seite, die durch den Mobilfunkbetreiber E-Plus finanziert wird. Ich denke, es kommen ähnliche Angebote auf uns zu. Das ist nicht nur eine Herausforderungen für Journalisten („Darf ich für so ein Portal arbeiten?“), sondern auch für Blogger – neue Konkurrenz entsteht.
Saschas Analyse über die Schwachstellen der Online-Medienszene, und seine “nderungsansätze halte ich für genau richtig. Vor allem, dass er persönliche Gesichter mit Themenfelder besetzt, ist genau richtig. Allerdings sollte er nicht glauben, dass Medienhäuser dies nicht auch schon erkannt haben. Wie ich aus unterschiedlichen Häusern weiß, machen die sich Gedanken, die in die gleiche Richtung gehen. Blogger wie Sascha Pallenberg haben aber einen Vorteil: Ihre Teams sind kleiner, beweglicher und somit schneller. Sie können im Zweifel einfach „machen“. Das ist der wahre Unterschied zwischen klassischen Medienmarken und Blogs.
fiene & das shake shack jahr
Wenn ihr in diesem Jahr in New York, Pennsylvania, Las Vegas, Washington DC, Chicago, Dubai, Kuwait City, Doha, London, Moskau oder Istanbul seid, müsst ihr bei Shake Shack einen Zwischenstopp einlegen und einen Milchshake bestellen. Wenn der Hunger sogar für einen Burger reicht; noch besser.
Vor zwei Jahren habe ich schon meinen persönlichen Erlebnisbericht gebloggt. In diesem Jahr, sollten wir Shake Shack genauer beobachten. Es könnte einiges passieren.
Shake Shack, das wird dein Jahr. Beim Vorreiter der Qualitätsburgerbewegung steht in diesem Jahr der Börsengang an. Ich persönlich finde die Geschichte der Marke spannend. 2013 gab es 34 Niederlassungen. Zuletzt waren es 64. Der Umsatz stieg um 45 Prozent auf 82 Millionen US-Dollar. Ein Winzling in Vergleich zu McDonald’s, aber dennoch ein Schrecken für den Konzern: Die Gäste lieben Shake Shack.
Wir sind heute in einer Phase, in der „Shake Shack“ cool ist. New Yorker wissen das schon lange. Treue Touristen inzwischen auch. Neue Filialen werden begrüßt oder erwartet. Warum hat Beirut eine Filiale, aber nicht Berlin? Shake Shack in Deutschland – die erste Filiale, wann kommt sie? Dann sind da diese Faszinationen: Amerikaner können lange Schlange stehen (das gehört zum Konzept). Wer mehr als 5 Dollar für einen frischen Burger ausgibt, achtet auf seine Gesundheit (McDonald’s = billig = ungesund). Und schon alleine die Qualität der Milchshakes (sie gelten als die Besten) spricht für sich. Ein Gastro-Märchen.
Shake Shack befindet sich gerade in einer ähnlichen Phase wie UNIQLO, eine japanische Version von H&M und Zara. Ein guter Ruf in den bereits aktiven Metropolen, eine zaghafte internationale Expansion (UNIQLO ist seit 2014 in Berlin). In dieser Phase befanden sich vor zehn Jahren auch American Eagle oder Abercrombie & Fitch – bis zu dem Zeitpunkt vor einigen Jahren, als jeder im Prenzlauerberg beim Brunch in Annas Blume ein Shirt mit übergroßen „ABERCROMBIE“-Lettern trug.
“hnlich wie Starbucks benötigte Shake Shack erst viele Jahre, bevor es auch über die Stadtgrenzen hinaus rockte. 2001 ging es in einem Park in New York los. Zunächst als mobiler Stand, dann als fester Kiosk, dann die ersten Restaurants in Manhattan. 2010 eröffneten die ersten Restaurants außerhalb von New York, es ging nach Miami South Beach.
Ich finde Shake Shack faszinierend. Den Schritt nach Miami verstehe ich – aber Dubai und Moskau? Das Essen ist toll, die Restaurants schick, aber ich schließe mich nicht den Medienfuzzis an, die Shake Shack als Edel-Fast-Food bezeichnen. Shake Shack macht das richtig, was Vapiano und Hans im Glück nicht können (deren Konzepte sind so 2010!) und ist somit auf der Höhe der Zeit: 2015 ist das Shake Shack Jahr.
Gestern habe ich auf meiner Zugfahrt in der FAZ (online gibt es nur eine kurze Fassung) etwas über den Börsengang gelesen. Roland Lindner (Wirtschaftskorrespondent in New York) hat sich für seinen Artikel die üblichen Gefahren in dem Prospekt für den Börsengang der Kette beschäftigt. Darin geht es auch um den Risikofaktor Russland. Über das Land sind Sanktionen verhängt und deswegen können die Betreiber bestimmte Zutaten nicht importieren. Aus diesem Grund dürften die Lizenznehmer ‚alternative Zutaten‘ nutzen, die möglicherweise ‚minderwertig in Geschmack und Qualität‘ sind. Keine Pointe.
fiene & musik des jahres
Zufällig bin ich über die Top-100-Playliste des Jahres bei Spotify gestolpert und habe mal eingeschaltet. Ich bin kein großer Rückblick-Fan, aber das war ein schöner Moment. Viele Erinnerungen, die ich mit den Songs verbinde, sind mir noch mal durch den Kopf gegangen. Ein gutes Jahr.
Wer mich fragt, welche Musik ich gerne mag, wird eine Antwort bekommen, die nichts mit der Musik zu tun hat, die ich tatsächlich höre. 2014 habe ich sonntags die meiste Musik privat gehört. Beides zeigt meine persönliche Spotify-Jahresauswertung. Wenn Gedächtnis und Eigenwahrnehmung auf Big Data treffen.
2014 habe ich nicht mehr aktiv Künstler oder Alben ausgesucht, die ich in Spotify „aufgelegt habe“, sondern habe mich durch die Stimmungsplayliste treiben lassen. Von daher finde ich die Jahresauswertung spannend. Wisst ihr was, ich teile sie einfach mit euch.
Kein House?
Top Artist, Album, Playlist: Ausgerechnet Jason …
Top 10 Songs: Kann mich nur an vier erinnern …
Woher die Musik kommt: Originell.
Jahreszeitenabschnittsmusik: Perfekte Mischung.
Wo: Ich werde Spotify mal verraten, dass ich mein iPad auch zu Hause benutze.
Wann: Habe ich schon mal erwähnt, dass der Sonntag mein Lieblingstag ist? Ich glaube schon …
Und damit ihr auch den passenden Soundtrack auf dem Ohr habt, habe ich auch drei passende Spotify-Playlisten für euch:
fiene & das nächste kapitel von serial: jetzt spricht jay!
Am Wochenende schrieb ich bei RP Online über das Podcast-Phänomen Serial: Auch wenn die finale Episode von Serial seit dem 18. Dezember 2014 bereits im Netz steht, ist das letzte Kapitel in diesem Kriminalfall noch lange nicht geschrieben. Wenn du den Podcast noch nicht kennst, empfehle ich dir die Lektüre meiner Einführung. Wenn du den Podcast-Hit (40 Millionen Amerikaner haben in den letzten Wochen eingeschaltet) schon kennst, wird dich diese Nachricht interessieren:
Jetzt ist tatsächlich das nächste Kapitel da. Vor wenigen Tagen gab es eine Ankündigung auf Facebook:
Für die Hörer des Serial-Podcasts von Sarah Koenig: Ich werde mich für ein Interview zur Verfügung stellen: Erstens, um die Frage für die Menschen zu beantworten, die sich, wie ich hoffe, Sorgen um den Tod von Hae Min Lee machen (die Person, die den ultimativen Preis für diese Unterhaltung bezahlt hat). Zweitens, um diese sogenannte Reporterin als das zu outen, was sie wirklich ist.“
Das Posting ist zwar inzwischen wieder gelöscht, aber das Interview ist tatsächlich erschienen. Jay Wilds äußert in einem sehr langen Interview seine Sicht der Dinge. Aber nicht gegenüber einem großen Medium, sondern gegenüber The Intercept. Das ist die Webseite von Investigativjournalist Glenn Greenwald, der durch seine Zusammenarbeit mit Edward Snowden berühmt wurde. Auf The Intercept, finanziert durch E-Bay-Gründer Pierre Omidyar, ist jetzt der erste Teil des Interviews erschienen.
In diesem ersten Teil schildert Jay seine Sicht der Dinge. Seit wenigen Stunden ist der Text online: Auf die ersten 172.000 Abrufe kommen bereits 284 Kommentare, die jedes Detail des Textes auseinander nehmen und mit anderen Quellen im Netz vergleichen.
Serial-Hörer sind es gewohnt, dass rund um Jay Fragen offen bleiben (bei seinem Gegenspieler Adnan ist dies ebenso der Fall). Nach Jays Interview ist dies nicht anders: Im ersten Teil wird nicht ersichtlich, warum er diese Geschichte nicht auch den Machern des Serial-Podcasts berichtet hat. Dies hätte den bemerkenswerten Podcast noch besser gemacht. Die auf Facebook formulierte Abrechnung* mit Sarah Koenig gibt es auch nicht – sie wird ganz am Ende für Teil 2 angekündigt.
Zwar hätte Jay Wilds schlechtere Partner für sein exklusives Interview wählen können, aber am Ende geht The Intercept nicht anders mit der Geschichte um, als es Jay Serial-Produzentin Sarah Koenig vorwirft: Das ultimative Ausschlachten als „Unterhaltung“.
(*= eine Bestätigung, ob das Facebook-Posting tatsächlich von Jay Wilds stammt, gibt es bisher noch nicht. Allerdings gehen viele US-Medien davon aus und es spricht tatsächlich nichts dagegen.)
P.S.: Warum The Intercept nicht auf den Serial-Podcast verlinkt bleibt mir ein Rätsel.
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