„Das war die letzte Tagesschau für dieses Jahr“, sagte Tagesschau Chef-Sprecher Jan Hofer mit einem leicht verschmitzten Lächeln, kurz bevor er gegen 20:10 Uhr die Neujahrsansprache der Kanzlerin ankündigte. „Die nächste Ausgabe gibt es gegen 02 Uhr nachts.“ Er ahnte noch nicht, dass es schon deutlich früher eine Ausgabe der Tagesschau geben sollte.
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Eine ungewöhnliche Silvesternacht. Zumindest aus der Perspektive der Nachrichten. Zunächst der Brand des Wolkenkratzers in Dubai und dann gegen 23 Uhr die Terrorwarnung aus München. Ungewöhnlich, weil sie in den Abläufen von Nachrichtenredaktionen nicht eingeplant waren. Aus der Ferne habe ich die Schlagzeilen und die Reaktionen beobachtet und mir ist eins aufgefallenund hier darf man ruhig mal loben: Die Berichterstattung ist ziemlich gut gewesen. Gerade im Vergleich zu den Ereignissen von Paris, rund um das Länderspiel Deutschland-Frankreich. Ich erinnere mich an die zunächst fehlenden Übertragungen auf den Kanälen, das Gemecker der Zuschauer auf Twitter, dann unbeholfene Sondersendungen der Tagesschau; insgesamt blieb bei vielen Medien ein Eindruck zurück: Es war niemand vorbereitet. Die Situation wurde zunächst hoffnungslos unterschätzt. Einen ganz anderen Eindruck habe ich in den vergangenen Stunden gewonnen.
Der Gong der Eilmeldungen des Tagesschau-App sollte am Silvesterabend öfter ertönen. Erst wegen Dubai. Dann wegen München (22:55 Uhr). Die Tagesschau-Redaktion entschied sich, ein Live-Blog zu starten, um laufend zu berichten (23:34 Uhr). Für 00:10 Uhr wurde eine Extra-Ausgabe angekündigt (23:56 Uhr), die zwar kurz aber souverän war. Alles wichtige wurde kurz berichtet und für alles weitere gab es ja das Live-Blog.
Auch die Polizei München gab ein gutes Bild ab. Über Twitter ist die Bevölkerung unaufgeregt informiert worden. Nicht nur auf Deutsch, sondern auch in anderen Sprachen. Das ist vorbildlich! Mitten in der Nacht ist eine Pressekonferenz über Periscope übertragen worden. Der Ton war zwar mies, aber dennoch schauten mindestens 7.500 Menschen zu. Über Periscope, in Deutschland, um die Zeit das sagt einiges über den Bedarf. Grundsätzlich könnte man aber mal darüber reden, warum Polizei-Stellen nicht direkt live auf Youtube übertragen, um mehr Menschen auch abseits der Newsgeek-Szene auf Twitter zu erreichen.
Hier und da gab es Kritik, warum unsere „Nachrichtensender“ denn nicht berichten würden BBC News und CNN sind schließlich schon am Thema dran. Da habe ich auch überlegt, erwarte ich von der Tagesschau mehr? Nein. Was hätten sie auch zeigen sollen. Im Grunde ist ja nichts passiert. Die wirklichen Nachrichten lassen sich in wenigen Minuten zusammenfassen. Die Behörden hatten von einem befreundeten Geheimdienst Hinweise auf einen möglichen Anschlag in München bekommen. Der Bayerische Innenminister sprach von einer konkreten Verbindung zum IS. Wesentlich mehr Details gab es in der Nacht noch nicht.
Selbes galt für den Informationsgehalt der Pressekonferenz heute Mittag. Gegen 12 Uhr gab es nicht nur Live-Streams im Netz, über verschiedenen Nachrichtenportale, sondern auch live im Fernsehen N24 & Co. waren inzwischen auch dabei. Ja, der Ton der Übertragung war besser, aber im Grunde wurde auch hier nichts gesagt. Eine Pressekonferenz, auf der die Behörden Transparenz beweisen wollten aber nicht einlösen konnten, ohne die eigene Ermittlungsarbeit zu stören. Aber: Der Zuschauer hatte immerhin das Gefühl geliefert bekommen, live dabei zu sein.
Meine Einschätzung: Bei solch einer Nachrichtenlage, wie wir sie in der Nacht hatten, kann man nicht ununterbrochen live on Air berichten, ohne den Zuschauer zu langweilen („die erzählen immer das gleiche“), oder sich in wilde Spekulationen zu verstricken, die sich wenige Stunden später als haltlos erweisen. Wie Nachrichtenredakteur Udo Stiehl nach den Pariser Anschlägen treffend bloggte: Fundierter Journalismus braucht Recherche und die braucht Zeit. Eine Zeit, die wir social-media-verwöhnten Konsumenten dem Journalismus nicht geben.
Was bleibt? Mal gelingt es besser, mal gelingt es schlechter, über Nachrichtenlagen zu berichten. Rund um die Terrorwarnung für München ist das vielen Medien besser gelungen, als wir das zuletzt erlebt haben. Auch die Polizei München hat die sozialen Netzwerke vorbildlich bespielt ohne Strategie wäre das nicht möglich gewesen.
Schnelligkeit, aber auch die richtige Dosierung haben ein gutes Bild abgegeben. Auch 2016 werden Nachrichtenredaktionen öfters genau diese Entscheidungen treffen müssen. Ich hoffe, sie orientieren sich dann an dieser Formel. Das wird auch beim Konsumenten ankommen, sollte tatsächlich einmal mehr passieren.
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